Linie, Widerstand, Erinnerung – Die druckgrafische Frühphase von Andre Schmidt
Von einem künstlerischen Anfang, der aus der Suche nach Ausdruck und der Entscheidung gegen Gewalt entstand.
Wenn man heute auf die frühen Druckgrafiken von Andre Schmidt zurückblickt – einige davon archiviert unter es-ist-kunst.de – wird sofort spürbar, dass es sich um mehr handelt als bloße Studien oder technische Fingerübungen. Was dort sichtbar wird, ist ein künstlerisches Frühwerk, das sowohl vom intensiven Umfeld des Musischen Zentrums der Ruhr-Universität Bochum geprägt wurde als auch von einer tief sitzenden ethischen Haltung: der Wille, sich mit Mitteln der Kunst gegen Krieg, Gewalt und innere Erstarrung zu stellen.
Auswahl aus dem Werkverzeichnis


Ein Atelier als Denkraum
„Ich wollte ein Zeichen gegen Krieg setzen“, sagt Andre Schmidt rückblickend auf seine Entscheidung, sich mit Malerei und Druckgrafik ernsthaft auseinanderzusetzen. Dabei kam er über das Musische Zentrum der RUB in Kontakt mit der dortigen Werkstatt für Druckgrafik – einer Oase experimentellen Lernens, geleitet von Ortrud Kabus. Die Künstlerin und Kunstpädagogin, die Biologie, Kunstwissenschaft und Malerei studierte und später zur kommisarischen Leiterin der Abteilung Bildende Kunst am Musischen Zentrum wurde, vermittelte nicht nur technische Grundlagen der Kaltnadel- und Radierungstechnik. Sie bot Schmidt und anderen eine geistige Heimat, in der individuelle Ausdruckskraft und offenes Denken gefördert wurden.
„Ich habe damals viele Stunden einfach im Atelier verbracht, habe zugeschaut, ausprobiert, verworfen. Es war ein Raum, in dem das Denken durch die Hand ging“, beschreibt Schmidt die Atmosphäre.
Die Linie als Widerstand
Die frühen Arbeiten zeigen häufig kräftige, intuitive Linienführungen, mal figurativ, mal fast ins Abstrakte gehend. Dabei bleibt der Widerstand der Druckplatte gegen das Werkzeug – charakteristisch für die Kaltnadeltechnik – in den Werken spürbar. Es sind Linien, die sich durchsetzen müssen. „Ich glaube, ich habe damals instinktiv gespürt, dass das Medium Druckgrafik eine gewisse Gewalt enthält – im positiven Sinn: eine Art Formgebung durch Reibung. Vielleicht war es genau das, was mich daran so angezogen hat“, reflektiert Schmidt.
Tatsächlich spiegeln viele Blätter aus dieser Zeit genau diese Spannung zwischen Impuls und Kontrolle, zwischen Intuition und Technik. Es finden sich Naturfragmente, urbane Zeichen, Körperformen, oft in einem Zustand der Transformation. Die grafischen Mittel sind reduziert – keine Farbexplosionen, keine Illustrationsversuche –, sondern Linie, Fläche, Schatten.
Der Einfluss der Anderen
Neben der Lehre von Ortrud Kabus war es auch der Austausch mit den anderen Künstler:innen im Atelier, der Schmidt prägte. „Es gab da eine fast klösterliche Disziplin“, sagt er. „Die Leute kamen mit ernsten Fragen an die Kunst, und das hat mich getragen.“ Die Interaktion mit erfahrenen Grafiker:innen und Maler:innen, die ihre Ateliers in der Nähe nutzten, schärfte seinen Blick für Proportion, Rhythmus und vor allem: Stille im Bild.
In dieser Umgebung entstand nicht nur ein handwerkliches Fundament, sondern auch ein künstlerisches Selbstverständnis, das bis heute seine Arbeit durchzieht: Kunst als kontemplativer Gegenentwurf zur Reizüberflutung, als Ort der Verdichtung, als Angebot zur Verlangsamung.
Spuren im Archiv
Die Seite es-ist-kunst.de dokumentiert einige dieser frühen Werke. (Weitere Werke warten auf ihre Digitalisierung für diese Werkschau) Die Gestaltung der Seite ist bewusst zurückhaltend: weiße Flächen, kleine Vorschaubilder, schlichte Navigation. Sie wird bewusst nie modernisiert. Sie ist ein Artefakt. Entstanden zur Extraschicht 2010. "Sie ist eine Bestandsaufnahme der künstlerischen Tätigkeiten im Umfeld der Druckgrafik des Musischen Zentrums", erklärt Schmidt.
Die dort gezeigten Blätter wirken wie Fundstücke aus einer intensiven Entwicklungszeit. Einige Werke deuten bereits spätere Themen an – Lichtachsen, Vegetationsräume, abstrakte Symbole –, doch bleiben sie grafisch diszipliniert. Die Linie steht im Vordergrund, nie das Erzählen.
Ein Werk im Werden
Heute, viele Jahre später, ist Andre Schmidt vor allem für seine Malerei bekannt. Doch die Wurzeln in der Druckgrafik sind weiterhin spürbar. „Ich habe gelernt, mit Einschränkung zu arbeiten. Nur ein Werkzeug, nur wenige Farben, nur das Notwendige.“ Diese ästhetische Reduktion, gepaart mit einer ethischen Haltung, ist vielleicht das stärkste Erbe jener Zeit im Atelier unter dem Dach des Musischen Zentrums.
Ortrud Kabus schrieb einst in einem ihrer Vorträge: „Die Linie ist kein Rand, sie ist Entscheidung.“ Man könnte sagen: Schmidt hat diese Entscheidung getroffen – damals an der Druckpresse. Und bis heute bleibt sie sichtbar.